Masala Highway - Abenteuer Alltag in Indien by Gabriel A. Neumann

Masala Highway - Abenteuer Alltag in Indien by Gabriel A. Neumann

Autor:Gabriel A. Neumann [Neumann, Gabriel A.]
Die sprache: deu
Format: azw3
Tags: Reiseberichte, Kulturen, Masala Highway, Reiseabenteuer, Sachbuch, Reisen, Indien, Alltag in Indien, Interkulturelle Kompetenz
Herausgeber: Dryas Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Auch Heilige müssen arbeiten

Er ist Govinds ganzer Stolz. Die mächtigen Hörner hat der Bauer blau angemalt, kleine goldglänzende Glöckchen zieren die Spitzen. Govind hat nur diesen einen Bullen, erzählt er mir. Es ist ein bescheidener Hof am Rand eines Dorfes in Maharashtra. Govinds Chappals sind blaue Plastik-Flip-Flops, sein Dhoti1sowie sein Hemd, die Kurta, sind strahlend weiß. Der Stall ist ein zu einer Seite offener Verschlag, dessen Dach mir etwa bis zur Stirn reicht, unter dem der Bauer und sein Vieh aber aufrecht stehen können. „Gegen den Regen und wegen der Sonne“, erklärt Govind. In der Monsunzeit wird es hier zwischen den Lehmwänden eng, denn die Ziegen haben keine eigene Behausung. Der Bauer nimmt einen Stock und gibt seinem Lieblingsrind, das es sich im Schatten gemütlich gemacht hat, mit einem kurzen Ruf einen Klaps aufs Hinterteil. Ist das Rind nicht heilig? Govind wackelt bestätigend mit dem Kopf und lacht verlegen. Und treibt den Bullen mit einem weiteren Klaps weg von der Hütte, Richtung Feld. Später wird er es vor den Pflug spannen. Er verehrt das Tier, ganz klar. Arbeiten muss es trotzdem.

Die Seele, glaubt ein Hindu, wird als Tier oder als Mensch wiedergeboren – das bedeutet auch, dass Tiere so zu respektieren sind wie Menschen. Auf dem Land leben die Menschen noch so eng wie vor Jahrhunderten mit ihren Tieren zusammen, Govinds Lehmhaus steht nur wenige Schritte vom Stall entfernt. Auch in den Städten begegnet man Tieren, anders als in Europa, auch außerhalb der Bratröhre. So ist es kein Wunder, dass auch in der indischen Götterwelt überall Tiere zu finden sind: Als Reittiere begleiten sie die Gottheiten, wie die Ratte (den elefantenköpfigen) Ganesha, oder lassen sich von ihnen beschützen, wie bei Vishnu, der unter einer großen Schlange sitzend dargestellt wird. Schwäne, Fische, Antilopen, Büffel, Schildkröten – die Bildsprache der indischen Mythologie ist angefüllt mit Vierbeinern und geflügelten Wesen.

Die Kuh nimmt auch in der Wirklichkeit eine Sonderstellung ein. Gerne auch mitten auf der Straße. Mit großer Gelassenheit und umflutet vom chaotischen Verkehrsgetümmel stehen Kühe auf den Straßen in indischen Städten, starren vor sich hin und laufen scheinbar unvermittelt ein paar Schritte weiter. Niemanden wundert das: Autofahrer, die sonst um jeden Zentimeter auf dem Asphalt kämpfen, halten großzügig Abstand von dem Tier. Nur wenn eine Kuh einem Gemüsestand zu nahekommt, wird sie mit klatschendem Schlag auf die Seite umgelenkt. Doch es bleibt bei harmlosen Knüffen, und die werden meist sparsam eingesetzt.

Kühe gelten Hindus als heilig. Sie geben Milch, aus der Butter und Ghee hergestellt wird. Ghee wiederum ist fester Bestandteil der Opferzeremonie einer Puja. Die Ayurveda-Medizin nutzt den Urin der Tiere als Heilmittel, ihr Dung wird zum Bauen und als Brennstoff verwendet. Und auch auf dem Acker sind sie immer noch wichtig: Bauern wie Govind spannen Ochsen vor den Pflug, um das Feld zu bestellen. Die Kuh wird als Spenderin und Bewahrerin des Lebens angesehen – und in der Hindu-Mythologie tritt sie gleich mehrfach in diesen Rollen auf: Krishna wuchs als Hirtenjunge mit Kühen auf, Vishnu, der Bewahrer des Lebens, wird mit der



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